Am Erker 82

Patrick Findeis: Paradies und Römer

Ellen Dunne: Boom Town Blues

Richard Osman: Der Mann, der zweimal starb

Dorothy L. Sayers: Keines natürlichen Todes

Henn / Kramp / Schneider: Das kriminelle Kochbuch

 
Mord & Totschlag 82
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Danilo treibt Schulden ein. Wer nicht zahlen kann, muss leiden. Denn Danilo schlägt schnell zu. Auch wenn es nicht um Geld geht. Frankie bekommt das nicht nur einmal zu spüren. Obwohl die beiden viel verbindet. Paradies und Römer heißt die Gegend, in der sie aufgewachsen sind, ein so genannter sozialer Brennpunkt, benannt nach einer Straßenkreuzung im baden-württembergischen Heidenheim. Knapp fünfzigtausend Einwohner, ein Zweitligaclub, viel Industrie. Aber eben auch Langzeitarbeitslose, Drogen, Gewalt. Wer da raus will, muss stark sein. Frankie scheint es geschafft zu haben, immerhin hat er einen festen Job als Zahntechniker. Für Danilo sieht die Sache anders aus – sich selbst hat er aufgegeben, aber seine Kinder sollen es besser haben. Dafür hat er viel Geld beiseitegeschafft. Doch Ellen, seine Ex-Frau, will nichts mit ihm zu tun haben. Also braucht er Frankie als Vermittler. Aber nichts läuft wie geplant.
Patrick Findeis' tiefschwarzer Provinzroman Paradies und Römer schildert die Nacht, in der Frankie und Danilo nach mehr als zehn Jahren wieder zusammen unterwegs sind, unterbrochen von Erinnerungen an die gemeinsam verkorkste Jugend. Dazu passen die Kommentare einer Geisterstimme – Ferry, der damals auch zur Clique gehörte, aber längst tot ist, mischt sich immer wieder in die Erzählung ein. Die Vergangenheit hinter sich zu lassen, gelingt nur wenigen. Aber sind all die anderen deshalb hoffnungslose Verlierer? Der Autor gewährt seinen scheiternden Existenzen eine brüchige Würde, das ist die Romantik des Noir, die nur funktioniert, wenn die hässliche Realität nicht geleugnet wird. Nur wenige, der Rheinländer Sven Heuchert wäre hier zu nennen, beherrschen diese Kunst ähnlich virtuos wie Patrick Findeis.
Literatur lebt davon, dass Träume platzen, ob in der südwestdeutschen Provinz oder in der irischen Metropole Dublin. Dort zeugen bis heute Bauruinen von der großen Krise, die 2008 eine bis dahin ungekannte Aufschwungphase brutal beendete. Wer sich hatte mittreiben lassen, stand vor dem Abgrund. Inzwischen hat sich die Wirtschaft wieder halbwegs erholt, doch viele Betroffene leiden noch immer. Materiell wie seelisch. Und das kann mörderische Konsequenzen haben, wie Patsy Logan vom LKA Bayern, offiziell zu Weiterbildungszwecken in Dublin, erfahren muss. Eigentlich dürfte sie ja gar nicht ermitteln, doch als eine junge Deutsche vergiftet wird, ist ihre Mithilfe gefragt. Das passt ihr gut, denn es lenkt sie zumindest zeitweise von ihren eigenen Problemen ab.
Sympathische Heldinnen wie Kriminalhaupt­kommissarin Logan werden, anders als männliche Ermittler, gerne beim Vornamen genannt, das scheint längst eine Konvention zu sein. Patsy also schlägt sich wacker auf halbvertrautem Terrain und klärt den Fall auf. Nicht ganz so einfach fällt es der deutschen Kriminalistin mit irischen Wurzeln, ihr kompliziertes Privatleben zu ordnen. Aber das wäre ohnehin nicht sinnvoll, schließlich soll die Reihe auch nach diesem dritten Band, Boom Town Blues, weitergehen. Das wäre zumindest wünschenswert, denn Ellen Dunne, in Salzburg geboren und seit vielen Jahren in Irland lebend, versteht sich auf die richtige Mischung von grimmigem Humor, erträglicher Spannung und sozialem Realismus. Und in schweren Zeiten ist der lindernde Effekt leichter Lektüre nicht zu unterschätzen.
Das ist als Kompliment gemeint. Auch Eskapismus will gekonnt sein. Wer glaubt, es sei keine Kunst, Romane zu schreiben, die unterhalten, ohne Intelligenz und Geschmack zu beleidigen, irrt gewaltig.
Dass der Hornbrillenträger Richard Osman, in Britannien eine echte TV-Persönlichkeit, mit seinen Ausflügen ins Krimigenre international erfolgreich ist, zeigt, dass Bestseller nicht zwangsläufig literarische Blindgänger sein müssen. Seine Idee, ein Seniorenkränzchen in Mordfällen ermitteln zu lassen, klingt zwar wie das Ergebnis eines Brainstormings von Marketingleuten, doch schon der Auftaktband, Der Donnerstagsmordclub, erwies sich als sprachlich wie erzählerisch gewitzte Lektüre. Stand hier der Rätselkrimi englischer Tradition Pate, spielt der Zweitling, Der Mann, der zweimal starb, gekonnt mit den Konventionen des Geheimdienstthrillers. Da wird auf das Vergnüglichste getäuscht und getrickst wie in den Klassikern des Genres, ohne dass der Roman zur Parodie gerät. Und es trifft sich wunderbar, dass die sehr elegante Übersetzung von Sabine Roth stammt, die viele Romane von John LeCarré ins Deutsche gebracht hat.
Neu ist an den oben empfohlenen Büchern natürlich vor allem das Erscheinungsdatum. Literarische Evolution führt nicht immer zu einer höheren Entwicklungsstufe. Auf amüsante Weise selbstreflexiv waren die besseren Detektivromane schon vor gut hundert Jahren. So lohnt sich die Wiederbegegnung mit Dorothy L. Sayers' verhaltensauffälligem Privatermittler Lord Peter Wimsey unbedingt, wenn auch nicht der kriminalistischen Erkenntnisse wegen. Dass beispielsweise die Mordmethode in Keines natürlichen Todes nicht zum Exitus führen würde, ist hinlänglich bekannt. Aber es schadet dem Lesevergnügen kein bisschen.
Man kann die Lektürepausen nutzen, um ganz unliterarisch eines der vielen Rezepte aus dem Kriminellen Kochbuch auszuprobieren. Das opulent illustrierte Werk erweist seinen Gebrauchswert mit präzisen Angaben für die Zubereitung von Köstlichem (Gratinierte Zwiebelsuppe à la Maigret) wie Fragwürdigem (Columbos Chili). Sogar eine Anleitung zur eigenen Herstellung von Baked Beans für ein zünftiges englisches Frühstück findet sich. Und man ist perfekt für die Flucht aus der unschönen Realität gerüstet.

 

Patrick Findeis: Paradies und Römer. Roman. 204 Seiten. Liebeskind. München 2022. € 20,00.

Ellen Dunne: Boom Town Blues. Ein Fall für Patsy Logan. 314 Seiten. Haymon. Innsbruck/Wien 2022. € 13,95.

Richard Osman: Der Mann, der zweimal starb: Ein neuer Fall für den Donnerstagsmordclub. Aus dem Englischen von Sabine Roth. 448 Seiten. List. München 2022. € 16,95.

Dorothy L. Sayers: Keines natürlichen Todes. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Otto Bayer. 368 Seiten. Wunderlich. Hamburg 2021. € 15,00.

Carsten Sebastian Henn, Ralf Kramp, Ira Schneider: Das kriminelle Kochbuch. Killer, Schnüffler und Rezepte. 168 Seiten. KBV. Hillesheim 2021. € 30,00.