Am Erker 85

Matthias Nawrat: Gebete für meine Vorfahren

 
Rezensionen

Matthias Nawrat: Gebete für meine Vorfahren
 

Bestellungen nach Irgendwo
Rolf Birkholz

Auch "der väterliche Kittel der jungen Frau" in der Apotheke tröstete nicht, "die sauberen, gepflegten Hände, / die der Form halber Bestellungen aufschrieben / und listenweise nach Irgendwo abhefte­ten" ("Die Wand"). "Das Irgendwo war un­ser besseres Land", in das man durch "den Geburtskanal" gelangen würde, "vermutlich morgen". Die Stimmung im nach Erzählungen und Romanen ersten Gedichtband von Matthias Nawrat, Gebe­te für meine Vorfahren, ist verhalten me­lancholisch.
Wie auch nicht, wenn die Vorfahren der Gebete bedürfen? Die Ahnen, die sich "in unterirdischen Kirchen" versammelten ("Woher ich komme"), sie "suchten tief, aber die Suchbegriffe waren falsch, sta­pelten sich auf, schwarz verdichtetes Ge­stein". Dann: "Meine Vorfahren schlepp­ten sich in Reihen, / stiegen zu ihren Wohnungen hinauf", schleppten sich "in die Windungen hinein" ("Meine Vorfah­ren"). Oder: "Die Geschichte ist eine Treppe, / die im Schneckenhaus / hinab­führt" ("Das Treppenhaus"). Einmal steckt die Mutter zwischen ihrem Vater im Keller und dem Sohn auf dem Dach "fest im Treppenhaus / beim Aufstieg zu sich selbst" ("Meine Mutter").
"In Reihen bewegen sich meine Vorfah­ren auf Knien", heißt es weiter, ihr Tempo ist die "Kniegeschwindigkeit". Sie sind fleißig, fallen aber "nicht aus der Wieder­holung raus." Grau bis schwarz erscheint die in die Gegenwart reichende Vergan­genheit ("Ich komme aus den Wäldern von Turawa, / wo die Knochen im Boden liegen / als ewige Liste, von der meine Großmutter eine Abschrift aufbewahrt") in Nawrats oft der Prosa nahen Gedichten mit gleichwohl eigenem poetischem Ge­wicht. In "Fahrt über Land" nimmt der Au­tor mit auf eine anschaulich-eindringliche Tour, in "Hitze im August" zugleich auf eine Nach-Fahrt des Nachfahren.
Auch ein Gebet könnte ja als eine ent­fernte Art von Bestellung verstanden wer­den, wenngleich mit noch weniger, ja gar keinem Recht auf Lieferung. Den Leser wiederum beliefert Matthias Nawrat mit seinen Gedichten, und das nicht schlecht.

 

Matthias Nawrat: Gebete für meine Vorfahren. Gedichte. 64 Seiten. parasitenpresse. Köln, Leipzig, Thessaloniki 2022. € 12,00.