Es lebe der Unterschied
Joachim Feldmann
Im Frühjahr 1979 kaufte ich mir eine Latzhose aus hellbraunem Cord und lag damit im Trend. Die vermeintliche Opposition gegen die repressive Konsumgesellschaft äußerte sich in den 1970er Jahren gerne in unattraktiver Einheitskleidung. Dass, um ein extremes Beispiel zu nennen, die Mitglieder der totalitären Kommunen des österreichischen Aktionskünstlers und Sexualstraftäters Otto Mühl (1925-2013) ebenfalls in den unförmigen Dingern herumliefen, scheint uns nicht gestört zu haben. Die Alternativbewegung war auf eine heute bizarr anmutende Weise tolerant. Warum fällt mir diese Episode aus längst vergangenen Zeiten bei der Lektüre von Ute Cohens anregendem Großessay Glamour ein? Vielleicht, weil uns damals das Glamouröse per se verdächtig war. Dass wir uns ebenso inszenierten wie jene Jugendlichen, die Glitzerstiefel mit Plateausohlen trugen, sahen wir nicht. Vermeintliche Ehrlichkeit war Trumpf – von der Musik über die Kleidung bis zum Umgang miteinander. Da durfte man auch mal rüpelhaft und unmanierlich sein. Hauptsache authentisch, was immer das bedeuten sollte. Dass wir dennoch auch Platten von Roxy Music und David Bowie hörten, darf man als amüsanten inneren Widerspruch verbuchen. Ute Cohen hingegen plädiert für offensive Künstlichkeit, für das riskante Spiel mit dem schönen Schein. Ihr Streifzug durch die Geschichte der glamourösen Inszenierung fährt von Hollywood in die europäischen Metropolen und scheut auch die Begegnung mit politisch dubiosen Figuren wie dem Ästhetizisten Gabriele D'Annunzio nicht. Das reizt zum Widerspruch, ist aber gerade deshalb unbedingt lesenswert. Mut zur Vieldeutigkeit lautet das Motto dieser Absage an Puritanismen jeder Spielart. Anders würde man dem menschlichen Wesen, dem Wahrheitsliebe und die Lust an der Lüge gleichermaßen zu eigen sind, auch schwerlich gerecht werden. |