Am Erker 87

Karel Čapek: Der Krieg mit den Molchen

 
Rezensionen

Karel Čapek: Der Krieg mit den Molchen
 

Von Molchen und Menschen
Gerald Funk

1726 stellte der Schweizer Arzt und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer in den Philosophical Transactions of the Royal Society ein von ihm am Schiener Berg im Landkreis Konstanz gefundenes fossiles Skelett als das eines in der "Sündflut" ertrunkenen Menschen vor (Homo diluvii testis). Er lag damit – wie nicht wenige Naturforscher mit ihren Thesen vor und nach ihm – nicht ganz richtig. Was er tatsächlich im Schiefergestein entdeckt hatte, war, wie Georges Cuvier einige Jahre später nachweisen konnte, der Skelettabdruck eines ausgestorbenen Riesensalamanders, der von ihm als hommage an den Schweizer Kollegen mit der Bezeichnung Andrias scheuchzeri versehen wurde. So weit, so gut. Nochmals viele Jahre später, nämlich 1936, erzählt der tschechische Schriftsteller Karel Čapek in einem jetzt erneut auf Deutsch erschienenen Roman von einem Krieg der Menschen mit den in der Südsee lebenden (man ahnt es schon: natürlich fiktiven) Nachfahren dieser Riesenmolche.
Der von Kapitän Jan van Toch auf einer kolonialen Schiffsreise vor Sumatra entdeckte, zuvor unbekannte Molch ist kein angsteinflößendes Lebewesen. Auch kein böses per se. Er ist intelligent, zäh und widerständig, resilient würden wir heute wohl sagen. Und er vermehrt sich bei guten Umweltbedingungen ziemlich rasant. Man unterschätzt ihn gern. Er lebt im seichten Wasser vor der Küste und hat sich dort eingerichtet. Man baut einen Tauschhandel mit den Wesen auf: Perlen für Waffen, mit denen sie sich gegen ihre natürlichen Fressfeinde, die Haie, wehren können.
Anfänglich noch mit Augenmaß, dann immer rücksichtsloser beutet man die Molche aus. Sie sind ideale Arbeitskräfte in einem global agierenden Kapitalismus: "Sie haben zwar keine Musik oder Literatur, aber sie kommen vorzüglich ohne sie aus. Und die Menschen beginnen sich der Ansicht zuzuneigen, daß das von den Salamandern eigentlich fabelhaft modern ist." So werden sie zum Vorbild: "Siehe da, schon kann der Mensch von den Molchen mancherlei lernen – kein Wunder: Sind denn die Molche nicht unerhört erfolgreich? Und woran sollen sich die Menschen ein Beispiel nehmen, wenn nicht am Erfolg? [...] Die echten, bewußten Menschen des Molchzeitalters werden ihre Zeit nicht mehr mit Grübeleien über das Wesen der Dinge vergeuden, sie werden allein mit deren Anzahl und Massenerzeugung genug zu tun haben." Die "nutzlose Tändelei, die sich Kultur, Kunst, reine Wissenschaft oder wie sonst noch immer nannte," ist dann Geschichte.
Schließlich entsteht eine neue Form der Sklaverei. Nach dem Tod des Kapitäns gründen seine Geschäftspartner ein Molchsyndikat, das die Intelligenz und die Arbeitskraft der nun massenhaft gezüchteten Wesen noch rigoroser nutzt, als das zuvor möglich war. Man ist dabei nicht zimperlich. Man kauft und verkauft die Amphibien rund um den Globus, man verschifft sie in Bottichen mit zum Teil verunreinigtem Wasser, wobei ein Großteil elend umkommt, handelt sie an den Börsen, lässt sie Häfen und Kanäle ausgraben, Landmassen im Meer aufschütten und kostbare Rohstoffe abbauen, nachdem die Perlen ihren Reiz verloren haben.
Doch die Molche lernen schnell und arbeiten effizient. Irgendwann sprechen sie und werden populär. Sie zivilisieren sich gewissermaßen. Man interessiert sich nun für ihr Geschlechts- und Seelenleben. Sie werden très chic: Aufstrebende Filmsternchen setzen sich in knapper Badewäsche mit den angesagten Wesen in Szene, und ein besonders gelehrter Molch hält, in einer Blechwanne sitzend, den Menschen sogar einen wissenschaftlichen Vortrag über die "Theorie der Kegelschnitte in der nichteuklidischen Geometrie". Die intelligenten Amphibien passen sich in ihrem Verhalten den Menschen sehr schnell an. Sie imitieren sie – und werden dadurch letztlich gefährlich: Sie vermehren sich rasant – irgendwann sind es sieben, dann zwanzig Milliarden –, gründen ihr eigenes Unterwasserreich, fordern Lebensraum und zerstören schließlich Teile des Festlands, in dem sie es untergraben und abtragen.
Nachdem die Molche also "Stufe um Stufe der Zivilisation" (so überschreibt der Autor den zweiten Teil seines Romans) erklommen haben, kommt es, wie es immer kommt: Der Frieden hält nicht, und es entstehen gewaltsame Konflikte und Kriege rund um den Globus. Die ehemals lammfrommen Wesen setzen sich zunehmend zur Wehr gegen ihre Versklavung – mit Sprengstoffen übrigens, die ihnen die Menschen verkauft haben, damit sie effizienter arbeiten. Es lebe der Kapitalismus! So funktioniert er heute noch. Doch auch die Molche untereinander, diesen Ausblick gibt der Autor in seinem Schlusskapitel, verfeinden und bekriegen sich schließlich. Es entsteht ein orientalisches Südreich unter King Salamander und ein Nordreich, geführt von Chief Salamander, der aber eigentlich ein Mensch namens Andreas Schulte ist, der wiederum Feldwebel im Ersten Weltkrieg war. Hier weiß man gleich, wer gemeint ist. Bevölkert wird diese nordische Region natürlich von den germanischen Edelmolchen, die etwas größer und etwas heller in der Färbung sind, aufrechter gehen und auf die sittlich verkommenen lemurischen Orientmolche herabschauen. Und so weiter und so fort.
Man erkennt die Anspielungen ziemlich deutlich. Zu Beginn spart der Autor nicht mit unschwer entzifferbaren Hinweisen auf den Sklavenhandel und die brutale Eroberungs- und Ausbeutungspolitik des Kolonialismus, später ist es der aufkommende Nationalsozialismus, den Čapek im Blick hat, die gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen des frühen 20. Jahrhunderts. Doch auch den Irrsinn einer ethikfreien Wissenschaft mit ihren Tier- und Menschenversuchen à la Woyzeck oder die Naivität der Menschenfreunde angesichts steigender Bedrohung durch Vermassung und Kulturverfall, wie es der Sozialpsychologe Hendrik de Man in den 1950er Jahren nennt, nimmt er aufs Korn. Da zum Beispiel die begrenzte Sprachfähigkeit der Molche bestimmte grammatische Feinheiten verschleift, tun das auch die Menschen und beginnen zu lispeln, verschlucken Endungen oder verzichten auf Flexion.
Thomas Mann schrieb 1937 an den Autor: "Ich las Ihren Roman Der Krieg mit den Molchen, der glücklicherweise ins Deutsche übersetzt ist. Lange hat mich keine Erzählung mehr so gefesselt und gepackt. Ihr satirischer Blick für die abgründige Narrheit Europas hat etwas absonderlich Großartiges, und man erleidet diese Narrheit mit Ihnen, indem man den grotesken und schauerlichen Vorgängen der Erzählung folgt, deren Phantastik ein durchaus zwingendes und notwendiges Leben gewinnt." Da liegt er mal richtig, der Herr Mann, der sich zuvor mit seinen Betrachtungen eines Unpolitischen zum Ende des Ersten Weltkriegs in der eigenen politischen Analyse nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte.
Čapek dagegen war von Anfang an ein Verfechter der Republik und Verteidiger der Demokratie. Politisch hatte er eine starke Nähe zu Tomáš G. Masaryk, dem Präsidenten der tschechischen Republik. Zeitweilig wurde er als "Pressesprecher" der Regierung verhöhnt. Der rechten wie der linken Publizistik war er zu gemäßigt. Im Ausland jedoch galt Čapek als wichtigster Autor der Tschechoslowakei. Auch nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 unterzeichnete er Petitionen gegen den Faschismus und half Exilanten auf der Flucht. Im Herbst 1938 leitete dann das Münchner Abkommen das Ende der Ersten Republik ein. Den Repräsentanten der eigenen Nation wurde daran eine Mitschuld zugewiesen. Auch Čapek. Ihn trafen die Verleumdungen schwer. Am 25. Dezember 1938 starb er mit 48 Jahren an einer Lungenentzündung. Zwei Jahre zuvor hatte er im Krieg mit den Molchen seinen literarischen Kommentar zur Gegenwart abgegeben, den man auch als Warnung vor kommendem Unheil begreifen sollte. Er musste selbst nicht mehr erleben, wie sein Bruder Josef 1939 in das KZ Dachau deportiert wurde, später dann nach Sachsenhausen, wo die Nazis ihn am 12. April 1945 ermordeten.
Wer aber nun glaubt, der Roman Čapeks habe womöglich 'nur' etwas mit der Kritik am Kolonialismus, mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus, dem Versagen der Völkergemeinschaft und demokratischen Institutionen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs zu tun, der schaue sich bitte um. Hört man nicht auch heute von den politischen und journalistischen Narren am Hof des kapitalistischen Absolutismus wieder die Klage, dass es diese vorbildliche Lebenshaltung des "Molchzeitalters" nicht mehr gibt, dass wir in einer "Teilzeitrepublik" leben, wo die Menschen lesen statt arbeiten wollen und sich einen Dreck um die Vermehrung des Bruttosozialprodukts scheren. Ökonomisch natürlich ein Skandal und eine Schande!
Es gibt viele weitere solcher Punkte, an denen deutlich wird, dass man Čapeks Molch-Geschichte als bittere Satire auf ein Heute lesen kann, das aus den Fehlern der Vergangenheit nur begrenzt gelernt hat. Sein Buch, und das betont auch Marko Martin in seinem Nachwort, gibt erschreckende Ein- und Ausblicke auf eine Gegenwart, die ähnlich unbeholfen und planlos, gesteuert offensichtlich in erster Linie von ökonomischen Interessen, auf eine globale Katastrophe zusteuert. Wobei sowohl die politische Rechte wie die klassische Linke ihr Fett wegbekommt.
Es geht bei Čapek allerdings nicht nur, wie es Martin in seinem Nachwort zuspitzt, um "totalitäre Unterwanderung" zivilisierter Gesellschaften und Demokratien, sondern um die Prozesse in der Gesellschaft selbst, die solche Zerstörungen erst ermöglichen. Und dazu zählt ein ungebremster Kapitalismus ebenso wie rassistische Verblendung und Fremdenfeindlichkeit. Allerdings auch die Naivität der moralisch integren Gutmenschen, die ihre Augen vor jeglichen Gefahren verschließen. Die einen etwa sehen in den Molchen nur die Bedrohung, die Gefahr und reagieren mit xenophoben Reflexen, die anderen begeistern sich für das Fremde, Neue und plädieren für höhere Schulbildung und Integration – auch noch, als die Zahl der Molche die der Menschen weit übertrifft und sie aggressiv werden. Wer fühlt sich hier nicht an aktuelle Diskussionen erinnert!?
Dystopien gibt es wie Sand am Meer, aber eine so facetten- und fantasiereiche Inszenierung des Untergangs steht in der Literaturgeschichte einsam da. Was auch auf die Erzählkonstruktion des Romans zutrifft, da dessen Fabel sich aus unzähligen, typographisch differenzierten Details und Mini-Erzählungen, fingierten Vorträgen, Presse-Artikeln, Schlagzeilen, Dokumentationen, Pamphleten und Protokollen zusammensetzt. Čapeks Roman ist letztlich eine polyphon und multiperspektivisch inszenierte satirische Parabel auf einen entfesselten Kapitalismus, auf die Hegemonialansprüche vermeintlich überlegener Staaten und Kulturen, die letztlich in den Untergang der Zivilisation münden. Eine groteske Dystopie, in der Čapek die Verwerfungen seiner Gegenwart spiegelt – Gefährdung der Demokratie, radikale Ökonomisierung der Gesellschaften rund um den Globus, Verteilungskämpfe, Entstehung von Diktaturen (konkret: das Aufkommen des Nationalsozialismus), Kriege –, in der zugleich aber auch eine politische Mahnung verborgen ist, die in ihrer Aktualität bis in unsere Gegenwart reicht. Die große Freude an der äußerst vergnüglichen Lektüre des Romans bleibt einem daher mitunter im Halse stecken.
"Wir haben euch gegenüber keine feindlichen Absichten. Wir brauchen nur mehr Wasser, mehr Küsten, mehr Sandbänke, um zu leben. Wir sind zu viele". So etwas haben 1936 nicht nur die Molche in Čapeks Roman (und – ohne das Versprechen friedlicher Absichten – auch die Nazis) gesagt. Ähnliches hört man auch heute wieder, sowohl von israelischen Rechtsaußen, wenn sie Gaza erneut besiedeln wollen, allerdings ohne Palästinenser, wie auch von den Palästinensern selbst, wenn sie rufen: "From the river to the sea". Muss man die Aktualität von Čapeks Buch weiter ausführen? Bitte lest diesen Roman. Der gesamte Irrsinn der menschlichen Hybris und sein Ursprung in einem aggressiv expansiven, inhumanen Kapitalismus, in menschlicher Dummheit und Verblendung ist darin aufgedeckt – und ein Untergang ausgemalt, den wir vielleicht noch vermeiden können. Man liest dort von massenhaft gedruckten Bibeln auf wasserfestem Papier, die dem Seelenheil der ausgebeuteten Unterwassersklaven dienen sollen. Ich plädiere für eine wasserfeste Ausgabe des Čapek-Romans, um ihn für alle Molche von heute verfügbar zu machen. Für den Rest der Leser reicht die Neuausgabe im Elsinor Verlag.

 

Karel Čapek: Der Krieg mit den Molchen. Roman. Aus dem Tschechischen von Eliška Glaserová. Nachwort von Marko Martin. 288 Seiten. Elsinor. Coesfeld 2024. 23,00 €.